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lebte einmal ein Witwer mit seiner Tochter in häuslicher
Eintracht. Am Abend weilte dies Mädchen gerne bei Nachbars
Kind;
dem aber war der Vater gestorben. Da sagte die Mutter von diesem
Mädchen: "Dir fehlt die Mutter, und ihr fehlt der Vater, mir
mangelt der Mann und deinem Vater die Frau. Geh ihm einmal unter die
Augen und frage in meinem Namen, ob er mich nicht zum Weibe will. Dann
ist uns doch allen geholfen. Du aber sollst jeden Tag roten Wein
trinken und dir in weißer Milch deine Wangen waschen. " Da
ging
das Mädchen nach Hause und trug dem Vater dies lockende
Angebot
vor.
Der Witwer meinte: "Ich habe auch schon auf solches gedacht, bin mir
aber eben nicht schlüssig geworden. Nimm jetzt diesen Stiefel,
fülle ihn mit Wasser - und hänge den alten
Wanderburschen auf
unseren Boden. Hält er dicht, so will ich es einmal noch mit
der
Ehe versuchen. Rinnt er aber, dann soll mir das eine Warnung sein."
Die Tochter tat, wie der Vater geheißen. Als sie aber am
kommenden Morgen den Boden betrat, da hatte die Feuchte das Leder
aufgequollen und die Löcher zusammengezogen, so daß
der
Stiefel das Wasser festhielt. Und in der Folge nahm der Vater die Witwe
zum Weib. Am ersten Morgen stand vor
dem Bette der Mannestochter Rotwein zum Trinken
und Süßmilch zum Waschen. Vor dem Bett der
Stiefschwester aber stand Wasser zum Trinken und Wasser zum Waschen. Am
zweiten Morgen stand vor dem Bette der Mannestochter Rotwein zum
Trinken und Wasser zum Waschen, vor dem Bette der Stiefschwester aber
Wasser zum Trinken und Süßmilch
zum Waschen. Am dritten
Morgen schon
hatte das
Blättchen sich völlig gewendet. Die
Mannestochter fand Wasser zum Trinken und
Wasser zum Waschen. Rotwein und
Süßmilch aber
waren der Stiefschwester zugeschoben. Und so blieb es
auch in
der Folge. Nun mußte die Mannestochter alle
Schmutzarbeit machen, und die Stiefschwester spielte die
Prinzessin. Abends, wann sie dann gemeinsam am Brunnen saßen
und
spinnen sollten, trieb die böse Schwester in ihrem
Übermut
allerlei Schabernack, kunkelte da herum, und einmal fiel ihr die
Spindel in den Born. Da schrie sie so wütend auf und gab der
Stiefschwester alle Schuld, zeterte auch so lange, bis die Gute nach
der sinkenden Spindel griff. Aber die sog sich rasch voll Wasser und
sank. Da rutschte das Mädchen in seinem Eifer vom Brunnenrand,
brach durch die Spiegelhaut des Wassers und meinte nun zu
ertrinken. Aber sie
erstickte doch nicht,
sondern schwebte in einer Luftblase ganz sanft auf
den Grund,
wie in einer kristallenen Kugel. Die aber wuchs um sie gleich einem
silbernen Mantel. Dieser zersprang und milde
Frühlingsluft brach herein. Die Maid war
nun auf einer
üppigen Wiese gelandet. Da
grünte und blühte ein ewiger Mai, und sie tanzte vor
Lebenslust über den blumigen Rasen. So begegnete ihr eine
rotbunte
Kuh. "Muh", sagte die Kuh, „liebes Mädchen, melk
mich du!"
Und das Mädchen schürzte den Rock,
tätschelte die
Schecke und melkte sie. Dann tanzte sie weiter und kam unter einen
Apfelbaum. Der hing lastenschwer voll der schönsten
Äpfel.
"Schütte! uns ab, schüttel uns ab", riefen die
Äpfel,
"wir sind schon viel zu reif!" Da umspannte das Mädchen den
Stamm
und schüttelte und rüttelte, daß alle Apfel
ins Gras
kollerten. Dann tanzte sie weiter und kam an ein Backhaus. Da schlug
ihr die bullernde Glut entgegen. Es ruffte und puffte im Ofenloch, und
die Brote schrieen aus ihrem warmen Brodem: "Zieh uns raus, zieh uns
raus, wir sind schon gar, ganz gar!" Da nahm
sie behende den Brotschieber und zog die duftenden Laibe heraus. Dann
tanzte sie weiter und wurde immer vergnügter. Da gewahrte sie
ein
kleines Haus mitten in einem wohlgezirkelten Garten. Vor der
Haustüre saß eine freundliche Frau, spann einen
silbernen
Faden, nickte und sprach: "Liebes Kind, du kommst mir recht, habe weder
Magd noch Knecht!"
Und das Mädchen verdingte sich als Magd bei der Alten und
versorgte ihr die ganze Wirtschaft. Weil sie aber willig und freudig
diente, hatte sie gute Tage, satt zu essen und freundliche Worte. Denn
sie war ja bei der Frau Holle, welche die Herzen der Menschen erprobt.
Die zeigte ihr allerlei Künste und Griffe bei ihrer
häuslichen Arbeit, lehrte sie auch die Betten
schütteln,
daß alle Federn nur so flogen. Dann riefen die
Menschenkinder:
"Es schneit, es schneit, Frau Holle schüttelt die Betten aus!"
Aber über ein Jahr kriegte das Mädchen den Jammer
nach seinem
Vater. Da sagte Frau Holle: "Nun ist es genug! Wie die Arbeit, so der
Lohn. Dort jenseits der großen Wiese steht das Lebenstor, es
führt zurück ins Menschenland. Geh,
Goldtöchterchen, und
sei gesegnet!"
Da schürzte das Mädchen vor Freude das
Röckchen, nahm
dankbar Abschied und tanzte dann wieder über den Blumenrasen
bis
vor das Tor. Dunkel wars, aber sie nahm sich ein Herz, neigte sich
unter dem Bogen und überschritt die schwarze Schwelle. Wie sie
aber eben unter dem Türsturz stand, da sprühte ein
blendender
Strahlenregen auf ihren Scheitel und übergoß ihr
Kleid mit
goldenem Flitter. Das Gold umschloß ihre ganze Gestalt und
umwallte sie wie ein Mantel. So kam sie geschmückt an die
Oberwelt
und erkannte ihr Vaterhaus neben dem Born. Als sie aber eben durchs
Hoftor schritt, da flog der Hahn auf den Torbalken, schlug mit den
Flügeln und schrie:
"Kikeriki!
Goldtöchterchen ist wieder hie!"
Also fröhlich begrüßt betrat sie das Haus
und fand die
Eltern und ihre neidische Schwester am Tisch. Weil sie aber so
überwältigend schön war und in ihrer
Güte alles
überstrahlte, so konnte ihr keiner mehr gram sein, ja selbst
die
Stiefmutter mußte sie gelten lassen.
Nun hatte die böse Stiefschwester keine gute Stunde mehr. Und
sie
beschloß, den Zauber des Brunnens auch zu nutzen. So warf sie
noch einmal die Spule hinab, bückte sich über und
sprang ihr
nach. In einer Luftblase sank sie zum Grunde, stand auf der Wiese und
suchte sogleich das glückhafte Häuschen. Da stellte
sich ihr
die Kuh in den Weg. "Muh", sagte die bunte Kuh, "liebes
Mädchen,
melk mich du!" Aber die Faule rief: "Hab keine Zeit, hab's noch so
weit!" und rannte dem Häuschen zu, das sie ferne erkannte. Da
stellte sich ihr der Apfelbaum in den Weg, und es raunte in seinem
Gezweig. "Schüttel uns ab, schüttel uns ab", riefen
die
Äpfel, "wir sind schon viel zu reif!" Aber das dumme Ding sann
nur
auf den goldenen Lohn und rief: "Hab keine Zeit, hab's noch so weit!"
und rannte auf das Häuschen zu. Da stellte sich ihr der
Backofen
in die Quere. Die Brote dufteten, pufften und riefen: "Zieh
uns
raus, zieh uns raus, wir sind schon gar, ganz gar!" Aber das
Mädchen rannte vorüber, hätte sich auch noch
beinah an
dem Holunderstrauche gestoßen und rief nur schnippisch: "Hab
keine Zeit, hab's noch so weit!" So stürzte sie davon und kam
ganz
atemlos an das Haus.
Da saß Frau Holle vor der Türe, spann einen
schwarzen Faden,
schüttelte den Kopf und sprach: "Bist du da, so kommst du
recht,
habe weder Magd noch Knecht!" Und das Mädchen verdingte sich
schnell als Magd. Am ersten Morgen war sie auch so willig wie nie,
sprang wie ein Wiesel und verrichtete alles nach Geheiß und
Gebot. Aber schon am zweiten Morgen nahm sie sich Zeit. Am dritten
Morgen begann der alte Schlendrian. Lange hielt es die Faule nun nicht
mehr aus, hatte nur noch die goldene Pforte im Sinn und sagte auch bald
wieder den Dienst auf. Frau Holle war' s wohl zufrieden, wies ihr den
Weg nach dem dunklen Tor, und das Mädchen schritt keck in die
Höhle. Aber als sie eben unter dem Türsturz stand, da
kippte
oben ein Kessel voll Pech aus, und es troff und floß und
goß sich der dicke Teer über sie aus,
hängte sich in
die Haare, klebte ihr im Gesicht, besudelte die Kleider und umwallte
sie wie ein schlackerschwarzer Mantel. So kam sie heulend ans
Tageslicht und trat verwüstet durchs Tor in den Hof. Der
Haushahn
aber stand eben auf der Miste, schlug mit den Flügeln und
schrie:
"Kikerikie!
Unsere schwarze Hexe ist wieder hie!"
Da wandten
sich alle Menschen von ihr ab und keiner wollte
sie
fürderhin lieb haben, selbst ihre leibliche Mutter
nicht, weil
sie
in ihrer ganzen Faulheit und
Boshaftigkeit gezeichnet war.
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Karl Paetow, Frau Holle im Born.
In: Frau Holle: Märchen und Sagen,
S. 30 - 34
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