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Geschichte geschah in jenen Tagen, da noch Frau Holle in die
Häuser der Menschen kam. Das ist noch gar nicht so lange her,
und
mancher biedere Altbauer hat noch aus Kindheitstagen das
verheißungsvolle Schnippen ihrer Peitsche im Ohr, wenn sie
dann,
auf ihrem Gabenwagen sitzend, ins weihnachtliche Dorf fuhr. So kam sie
denn auch einmal vor die Tür eines armen Bergmanns. Hier
hatten
sieben Kinder ihre Schühchen vor das Fenster gestellt, denn
sie
hofften in dieser Nacht auf Frau Holles Gaben. "Ach!" seufzte die
Bergmännin, die noch fleißig am Spinnrad
saß, als sie
das Schnippen der Peitsche und das Schellen vom Glockengeschirr
vernahm, "ach, wenn es doch die Frau Holle wäre! Denn sieben
Kinder und ein harter Winter, das nagt am Mutterherzen!" So schlich sie
denn zur Türe und schob den schweren Riegel beiseite. Da stand
- o
Schreck! - zwischen Schwelle und Türsturz der Schimmel im
Schnee
und eine hohe weiße Erscheinung dazu. Die winkte ihr mit dem
Finger und sprach: "Weil du ein kummervolles Weib bist und weil deine
Kinder schuldlos in Not sind, so nimm diese Spindel. Doch das ist mein
Rat: wahre deine Art, sonst muß sie schwinden!"
Die Bergmännin wog beglückt die goldene Kunkel in
kundiger
Hand. Sie knickste und dankte, sie dankte und knickste noch, als auch
Frau Holle schon längst über alle Berge war. Nun
brauchten
sie wohl nicht länger vom Hungertuche zu essen, denn diese
Spindel
spann den feinsten Faden und gab sich an Flachs niemals aus. Als aber
am Morgen die Kinder ihre Schühchen vom Fensterbrett holten,
da
fanden sie auch Äpfel und Nüsse genug darin.
Glück aber geht zu Glück. Also stieg zu der gleichen
Stunde
der Bergmann aus tiefem Schacht. Er hatte die Lampe schon unten im
Stollen gelöscht, denn in seiner großen Armut fuhr
er immer
ohne Licht aus der Grube, um Docht und Öl zu sparen. Aber die
Nacht umfing ihn wie ein Abgrund, und kein Sternlein glitzte.
Im Schwarzwassertal floß die Finsternis wie Pech von den
Felsen,
und selbst der Schnee, der sich um seine Schuhe klumpte, gab keinen
Schein. Nun kannte der Mann wohl seinen Pfad, denn er war ihn als Knabe
schon gelaufen. Aber gegen die Rabennacht half auch kein Wissen um Weg
und Steg. Er tappte dahin wie in fremden Gewölben und rutschte
gefährlich am Steilhang. "Wie ist die Nacht so dicht,
hätt'
ich nur noch mein Licht!", so stöhnte er ganz
erschöpft, als
er wieder an eine Zacke stieß. Da erblühte vor ihm
ein
LichtIein, das wiegte sich in den Schatten wie ein guter Stern. Und er
erkannte am Bilstein einen, der schwang und schwenkte seine Laterne.
"He, Kumpel!" rief der Bergmann, "leuchte, und leih mir dein Licht. Ich
kenn mich im Finstern schon gar nicht mehr aus!" Aber der Fremde
schwenkte seelenruhig seine Laterne weiter. Da erkannte der Bergmann
den mächtigen Greis mit dem wallenden Bart. So konnte es nur
der
Bergvater sein, der ihm zur Weihnacht heimleuchten wollte. Und es war
ein süßer Ruch um diese Lampe, wie Honig und
köstliches
Gewürz. Da sprach der Alte vom Berge: "Hab keine Zeit,
muß
weiterfahren. Will dir aber ein Stümpfchen
überlassen. Doch
das ist mein Rat: wahr deine Art, sonst muß es
verlöschen!''
Und er griff in seinen Mantelsack, zog ein winziges Wachslicht hervor,
entzündete dies und hielt es dem Erschrockenen unter die Nase.
Der
wollte sich eben bedanken, als ihn ein heftiges Niesen durchfuhr. Wie
er aber aufsah, war die Erscheinung schon in die Schatten gesunken. Nur
der süße Honigduft blieb um ihn, und das Licht gab
so
goldenen Schein, ging auch nicht aus und brannte von nun ab immerfort.
Die stille Flamme erwärmte dem armen Manne das Herz, und er
dachte
auf seinem Heimweg: "Wie wird meiner Hausfrau doch der Gram von den
Schultern fallen, wenn sie das Kerzchen ansieht!" Aber schon schlich
das Mißtrauen in seine Freude: "Sie tratscht doch alles der
Nachbarin, und es wird ruchbar, daß ich eine ewige Lampe
habe,
und viel beneidet ist bald bestohlen." Also verhehlte er seine
Herzensfreude hinter mürrischen Mienen und trat mit dem
üblichen Seufzer in die Stube.
Seine Frau hatte ihm die Abendsuppe schon gerichtet. Sie steckte ein
Wachslichtlein in das Flitterwerk der Pyramide, weil es doch
Weihnachten war. Aber inwendig erwog sie: "Wenn er nur eine Ahnung hat,
daß ich den Schlüssel zum Wohlstand führe,
so rennt er
noch öfter in den Krug. Und wo ein Brauhaus steht, da steht
kein
Backhaus." Also verschwieg auch sie ihr Glück.
Auf Suppe folgt Rindfleisch. Die Frau spann so klar wie ein Haar. Sie
verkaufte feines Garn und zartes Linnen und sparte manchen Groschen
für ihre Kinder. Aber sie schwieg. Auch dem Bergmann brachte
die
ewige Lampe bessere Tage. Er fand eine reiche Silberader, stieg schnell
im Ansehen und wurde schließlich über die Hauer und
Schlepper gesetzt.
Aber Geld ohne Segen ist wie ein Sommer ohne Regen. Wohl lebten sie nun
im vollen Wohlstand, und die Kinder brauchten nicht mehr betteln zu
gehen. Aber das Band des Vertrauens war zwischen den Eltern abgerissen,
und jedes lebte ohne den anderen in seinen verstockten Tag hinein.
Einmal kam der Steiger wieder betrunken nach Hause. Er schaute ganz
jämmerlich drein. An seinen Augen wuchsen die
Krähenfüße und um den Mund steile
Gräben. Die Frau
sah ihn von der Seite her an. Sie sagte: "Wenn du so weiter die vollen
Kuhschellen hinter den Hellgelben heruntersäufst, dann werden
deine Kinder bald das Waisenbrot beißen!"
Da wurde der Mann zornig und brauste auf: "Mißgönnst
du mir
die paar Tropfen nach dem schweren Tagwerk, so paßt mir's
schon
lange nicht, was die Spatzen von der Miste pfeifen, du Hexe!"
"Was kräht der Galgenvogel?" rief die Frau und schwang drohend
einen Löffel. "Und du mußt das Sündengeld
geradezu
stehlen, sonst gingst du schon lange zum Bettelvogt, denn du kannst das
Maß nicht halten!"
"Und du Gigack, du Schlappergusch, wer hat dir denn die
sündhaften Laken gewebt - he?" schrie der Steiger.
Sie standen Auge in Auge, und der Haß fuhr ihnen schon in die
Fäuste. Da schreckte das Schellengeläut und das
Schnippen der
Peitsche die Streitenden auf und mahnte sie an die
mißbrauchten
Gaben. Aber in dieser Weihnacht fuhr Frau Holle an ihrer Hütte
vorüber. Dann schlug ein kalter Blitz ins Haus, das Licht
erlosch,
die Balken krachten, der Kalk fiel von der Wand und eine furchtbare
Stimme drohte:
"Zurück
das Glück,
Stück um Stück!"
und als jedes nun erschrocken im Finstern nach seinem Wunschding
kramte, da waren Zauberlicht und Wunderkunkel verschwunden.
Aber es ist kein Unglück so groß, es trägt
ein
Glück im Schoß. Nun hatten die beiden freilich
nichts mehr
zu mißtrauen und zu verhehlen. Mann und Frau mußten
wieder
an einem Strang ziehen, das Tägliche zu erwerben. Und weil der
Steiger auch dem Trunke abschwor, so mehrte sich ehrlich ihr Wohlstand,
auch ohne die verlorenen Gaben. Als dann Frau Holle im
nächsten
Jahr wieder die Weihnacht durchfuhr, da blickte sie noch einmal in jene
Stube. Hier sah sie die einige Familie im Glanz der Lichter.
Vater und
Mutter aßen eben Vielliebchen mit dem
Doppelkern aus der
Nuß. Da lächelte Frau Holle
aus ihrer
strengen Güte und sprach:
"Zurück das Glück!"
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Karl Paetow,
'Frau
Holle' - Märchen und Sagen S. 95 - 99
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