Im Reich der Frau Holle

Annette Rath-Beckmann
Historikerin | Matriarchatsforscherin

Der Bergmann und sein Weib



iese Geschichte geschah in jenen Tagen, da noch Frau Holle in die Häuser der Menschen kam. Das ist noch gar nicht so lange her, und mancher biedere Altbauer hat noch aus Kindheitstagen das verheißungsvolle Schnippen ihrer Peitsche im Ohr, wenn sie dann, auf ihrem Gabenwagen sitzend, ins weihnachtliche Dorf fuhr. So kam sie denn auch einmal vor die Tür eines armen Bergmanns. Hier hatten sieben Kinder ihre Schühchen vor das Fenster gestellt, denn sie hofften in dieser Nacht auf Frau Holles Gaben. "Ach!" seufzte die Bergmännin, die noch fleißig am Spinnrad saß, als sie das Schnippen der Peitsche und das Schellen vom Glockengeschirr vernahm, "ach, wenn es doch die Frau Holle wäre! Denn sieben Kinder und ein harter Winter, das nagt am Mutterherzen!" So schlich sie denn zur Türe und schob den schweren Riegel beiseite. Da stand - o Schreck! - zwischen Schwelle und Türsturz der Schimmel im Schnee und eine hohe weiße Erscheinung dazu. Die winkte ihr mit dem Finger und sprach: "Weil du ein kummervolles Weib bist und weil deine Kinder schuldlos in Not sind, so nimm diese Spindel. Doch das ist mein Rat: wahre deine Art, sonst muß sie schwinden!"

Die Bergmännin wog beglückt die goldene Kunkel in kundiger Hand. Sie knickste und dankte, sie dankte und knickste noch, als auch Frau Holle schon längst über alle Berge war. Nun brauchten sie wohl nicht länger vom Hungertuche zu essen, denn diese Spindel spann den feinsten Faden und gab sich an Flachs niemals aus. Als aber am Morgen die Kinder ihre Schühchen vom Fensterbrett holten, da fanden sie auch Äpfel und Nüsse genug darin.

Glück aber geht zu Glück. Also stieg zu der gleichen Stunde der Bergmann aus tiefem Schacht. Er hatte die Lampe schon unten im Stollen gelöscht, denn in seiner großen Armut fuhr er immer ohne Licht aus der Grube, um Docht und Öl zu sparen. Aber die Nacht umfing ihn wie ein Abgrund, und kein Sternlein glitzte.

Im Schwarzwassertal floß die Finsternis wie Pech von den Felsen, und selbst der Schnee, der sich um seine Schuhe klumpte, gab keinen Schein. Nun kannte der Mann wohl seinen Pfad, denn er war ihn als Knabe schon gelaufen. Aber gegen die Rabennacht half auch kein Wissen um Weg und Steg. Er tappte dahin wie in fremden Gewölben und rutschte gefährlich am Steilhang. "Wie ist die Nacht so dicht, hätt' ich nur noch mein Licht!", so stöhnte er ganz erschöpft, als er wieder an eine Zacke stieß. Da erblühte vor ihm ein LichtIein, das wiegte sich in den Schatten wie ein guter Stern. Und er erkannte am Bilstein einen, der schwang und schwenkte seine Laterne. "He, Kumpel!" rief der Bergmann, "leuchte, und leih mir dein Licht. Ich kenn mich im Finstern schon gar nicht mehr aus!" Aber der Fremde schwenkte seelenruhig seine Laterne weiter. Da erkannte der Bergmann den mächtigen Greis mit dem wallenden Bart. So konnte es nur der Bergvater sein, der ihm zur Weihnacht heimleuchten wollte. Und es war ein süßer Ruch um diese Lampe, wie Honig und köstliches Gewürz. Da sprach der Alte vom Berge: "Hab keine Zeit, muß weiterfahren. Will dir aber ein Stümpfchen überlassen. Doch das ist mein Rat: wahr deine Art, sonst muß es verlöschen!''

Und er griff in seinen Mantelsack, zog ein winziges Wachslicht hervor, entzündete dies und hielt es dem Erschrockenen unter die Nase. Der wollte sich eben bedanken, als ihn ein heftiges Niesen durchfuhr. Wie er aber aufsah, war die Erscheinung schon in die Schatten gesunken. Nur der süße Honigduft blieb um ihn, und das Licht gab so goldenen Schein, ging auch nicht aus und brannte von nun ab immerfort. Die stille Flamme erwärmte dem armen Manne das Herz, und er dachte auf seinem Heimweg: "Wie wird meiner Hausfrau doch der Gram von den Schultern fallen, wenn sie das Kerzchen ansieht!" Aber schon schlich das Mißtrauen in seine Freude: "Sie tratscht doch alles der Nachbarin, und es wird ruchbar, daß ich eine ewige Lampe habe, und viel beneidet ist bald bestohlen." Also verhehlte er seine Herzensfreude hinter mürrischen Mienen und trat mit dem üblichen Seufzer in die Stube.

Seine Frau hatte ihm die Abendsuppe schon gerichtet. Sie steckte ein Wachslichtlein in das Flitterwerk der Pyramide, weil es doch Weihnachten war. Aber inwendig erwog sie: "Wenn er nur eine Ahnung hat, daß ich den Schlüssel zum Wohlstand führe, so rennt er noch öfter in den Krug. Und wo ein Brauhaus steht, da steht kein Backhaus." Also verschwieg auch sie ihr Glück.

Auf Suppe folgt Rindfleisch. Die Frau spann so klar wie ein Haar. Sie verkaufte feines Garn und zartes Linnen und sparte manchen Groschen für ihre Kinder. Aber sie schwieg. Auch dem Bergmann brachte die ewige Lampe bessere Tage. Er fand eine reiche Silberader, stieg schnell im Ansehen und wurde schließlich über die Hauer und Schlepper gesetzt.

Aber Geld ohne Segen ist wie ein Sommer ohne Regen. Wohl lebten sie nun im vollen Wohlstand, und die Kinder brauchten nicht mehr betteln zu gehen. Aber das Band des Vertrauens war zwischen den Eltern abgerissen, und jedes lebte ohne den anderen in seinen verstockten Tag hinein.

Einmal kam der Steiger wieder betrunken nach Hause. Er schaute ganz jämmerlich drein. An seinen Augen wuchsen die Krähenfüße und um den Mund steile Gräben. Die Frau sah ihn von der Seite her an. Sie sagte: "Wenn du so weiter die vollen Kuhschellen hinter den Hellgelben heruntersäufst, dann werden deine Kinder bald das Waisenbrot beißen!"

Da wurde der Mann zornig und brauste auf: "Mißgönnst du mir die paar Tropfen nach dem schweren Tagwerk, so paßt mir's schon lange nicht, was die Spatzen von der Miste pfeifen, du Hexe!"
"Was kräht der Galgenvogel?" rief die Frau und schwang drohend einen Löffel. "Und du mußt das Sündengeld geradezu stehlen, sonst gingst du schon lange zum Bettelvogt, denn du kannst das Maß nicht halten!"
"Und du Gigack, du Schlappergusch, wer hat dir denn die sündhaften Laken gewebt - he?" schrie der Steiger.

Sie standen Auge in Auge, und der Haß fuhr ihnen schon in die Fäuste. Da schreckte das Schellengeläut und das Schnippen der Peitsche die Streitenden auf und mahnte sie an die mißbrauchten Gaben. Aber in dieser Weihnacht fuhr Frau Holle an ihrer Hütte vorüber. Dann schlug ein kalter Blitz ins Haus, das Licht erlosch, die Balken krachten, der Kalk fiel von der Wand und eine furchtbare Stimme drohte:

"Zurück das Glück,
Stück um Stück!"

und als jedes nun erschrocken im Finstern nach seinem Wunschding kramte, da waren Zauberlicht und Wunderkunkel verschwunden.

Aber es ist kein Unglück so groß, es trägt ein Glück im Schoß. Nun hatten die beiden freilich nichts mehr zu mißtrauen und zu verhehlen. Mann und Frau mußten wieder an einem Strang ziehen, das Tägliche zu erwerben. Und weil der Steiger auch dem Trunke abschwor, so mehrte sich ehrlich ihr Wohlstand, auch ohne die verlorenen Gaben. Als dann Frau Holle im nächsten Jahr wieder die Weihnacht durchfuhr, da blickte sie noch einmal in jene Stube. Hier sah sie die einige Familie im Glanz der Lichter. 

Vater und Mutter aßen eben Vielliebchen mit dem
Doppelkern aus der Nuß. Da lächelte Frau Holle
aus ihrer strengen Güte und sprach:
"Zurück das Glück!"




Karl Paetow, 'Frau Holle' - Märchen und Sagen S. 95 - 99


































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