Im Reich der Frau Holle

Annette Rath-Beckmann
Historikerin | Matriarchatsforscherin

Der Holle-Teich



Der Holle-Teich - der am häufigsten aufgesuchte Ort - am Osthang des Berges gelegen, ist der Eingang in Frau Holles unterirdisches Reich und der Ort, an dem die Seelen sich kurz vor ihrer Wiedergeburt aufhalten. Er ist gleichsam der Schoß der Göttin, aus dem alles Leben kommt und in den es wieder zurückkehrt.
Holle-Teich die weiße Frau - Foto Dagmar Krüger

Holle-Teich - Die weiße Frau (Wolkenspiegelung)

Foto: Dagmar Krüger


"Vom Frau Holle-Teich wird berichtet, dass er einst als das Eingangstor zu Frau Holles unterirdischem Reich galt, wo sie die Seelen hütet. Sie selbst zeigte sich manchmal als nebelhafte Weiße Frau auf dem See oder badete in der Mittagsstunde darin (Frau Hollen Bad). Auch vermeinte man manchmal am Grunde des Sees dumpfes Grollen oder dunkles Geläut zu hören. Dabei war ihre Unterwelt nicht schrecklich, sondern ein  Paradies,  der Garten Immergrün in der Tiefe des Berges, wo Frau Holles Haus in grünen Wiesen und umgeben von einem Apfelgarten stand. Eine Kuh mit vollem Euter graste dort, und das Backhaus war stets mit Brot gefüllt. Hier wohnten die Seelchen, die Frau Holle glücklich umgaben. Man stellte sich diese jung und zart wie kleine Kinder vor, manchmal auch als alte, greise Zwerge, als das Kleine Volk, das bei Frau Holle im Überfluss lebte. Wie sie die Menschen auf der Oberwelt ernährte, so ernährte sie auch die Seelen in der Unterwelt bis zu ihrer Wiedergeburt, denn sie war die Mutter des Lebens im Diesseits und Jenseits.

Volksglauben und Bräuche umgaben den Frau Holle-Teich auf dem Weißner. Früher machten die Menschen aus den Dörfern, die um den Weißner liegen, Prozessionen zu dem Teich hinauf, und insbesondere kinderlose Frauen pflegten darin zu baden, wovon sie nach altem Glauben schwanger wurden. Doch nicht nur kinderlose Frauen, sondern jede junge Frau übte diesen Brauch aus, denn nach uralter Auffassung schwammen im Frau Holle-Teich die Seelchen oder saßen auf den Seerosenblättern. Bei dem Bade konnten sie leicht in eine Frau hineinschlüpfen, wovon diese schwanger wurde und nach neun Monaten ein Kind gebar, in dem sich das Seelchen für ein neues Leben wiederverkörperte. Rituale und Zauberlieder, später zu Kinderspielen abgesunken, dienten demselben Zweck. Diese Auffassung zeigt den sehr alten Wiedergeburtsglauben matriarchaler Kulturen, den es auf der ganzen Erde gab und noch gibt. Ihm gemäß werden Kinder als wiedergeborene Ahnen und Ahninnen betrachtet, die an heiligen Ahnen-Steinen oder Ahnen-Teichen und -Seen von den Frauen abgeholt werden können. Eine Pilgerfahrt zu einem solchen Teich, See oder Brunnen der Frau Holle ist deshalb zugleich eine Initiationsreise, die eine junge Frau in eine Mutter verwandeln kann, die nach matriarchalem Glauben nun um das Geheimnis des Lebensursprungs und der Wiedergeburt weiß.
Maifest am Holle-Teich

Maifest am Holle-Teich: Picknick

Foto: Dagmar Krüger


Der Frau Holle-Teich wurde demnach als Seelensee betrachtet, der berühm­teste von denen, die wir in Deutschland haben. Dazu passt ein altes, öfter vor­ kommendes Sagenmotiv, dass er für unergründlich tief gehalten wurde und kein Senkblei seinen Grund erreichen konnte. Man hat dies naturalistisch missverstanden und technisch nachgeprüft, nur um zu entdecken, dass der Teich gar nicht so tief ist. Aber es handelt sich hier um eine symbolische, landschaftsmythologische Aussage: Als Seelensee ist er gleichzeitig der Schoß der Göttin, in dem die Ahnen und Ahninnen wohnen und aus dem sie durch die Wiedergeburt zurückkehren. Damit ist er ein Schoß des Lebens, und dessen Tiefe und Geheimnis kann niemand ergründen."

Heide Göttner-Abendroth, Matriarchale Landschaftsmythologie, S. 62 - 64























































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