Im Reich der Frau Holle

Annette Rath-Beckmann
Historikerin | Matriarchatsforscherin

Die Kitzkammer



Am Südwesthang des Meißners gelegen, ist die Kitzkammer eine von Basaltsäulen eingefasste Höhle, die jedoch heute nicht mehr zugänglich ist. Sie liegt am oberen Ende einer wilden Schlucht unweit eines kleinen Höhenbaches. Viele Holle-Mythen ranken sich um sie.

"Die Kitz­kammer liegt hart am Rand einer Schlucht, durch die Bäche herabrauschen Das Außerordentliche dieses Platzes ist das offen zu Tage tretende, schwarze Basaltgestein, das hier schöne, regelmäßige Säulen bildet, die aber nicht senkrecht steigen, wie man annehmen möchte,  sondern  waagerecht liegen und vor den Betrachtenden in einer glatten Wand enden. Darin öffnet sich die Kitzkammer als merkwürdige Höhle. Sie war früher größer als heute, denn Basaltsäulen sind im Inneren herabgestürzt.
Meißner Kitzkammer-Höhle

Kitzkammer

Foto: Gundula Lendt

Dieser ungewöhnliche Platz zieht nicht nur viele heutige Menschen an, sondern hat auch die Phantasie der frühen Menschen beschäftigt, die hierher kamen. Jedenfalls sollen hier Frau Holles Katzen wohnen. Denn Kitzen sind weibliche Katzen, die heiligen Tiere der Göttin, die häufig in ihren Mythen auftreten. Menschen, die gut zu den Katzen sind, gewinnen die Gunst der Göttin.

Die Raubtiere Löwen, Leoparden und Katzen sind klassische Begleiter der matriarchalen Göttin, sie kommen überall von Westasien über Ägypten bis Europa als ihre Begleiter vor. Zum Beispiel sitzt die gebärende Göttin der jungsteinzeitlichen Stadt Chatal Höyük in Kleinasien (7000 v. u. Z.) auf einem Leopardenthron, ebenso sieht man die spätere Göttin Kybele auf einem Löwenthron, und Löwen ziehen auch Kybeles Wagen. Die hethitische Göttin Hebatu steht auf einem schreitenden Löwen, der das Wahrzeichen ihrer Macht ist. In Ägypten erscheinen die Göttinnen Sachmet mit einem Löwenkopf und Bastet mit einem Katzenkopf. In Südeuropa sieht man die kretisch-griechische Göttin Hera auf Siegeln und auf Säulen von Löwinnen flankiert, und in Nordeuropa fährt die später germanisierte Freyja auf einem Wagen, den Wildkatzen ziehen. Diese Tiere symbolisieren nicht nur die ungebändigte Kraft der Göttin selbst, sondern zeigen sie zugleich in der archaischen Eigenschaft als Herrin der Tiere. Auch Frau Holle war eine Herrin der Tiere, denn sie schützte die Tiere auf dem Weißner, insbesondere ihre magischen Katzen. Diese sind Nachttiere und Wächter an heiligen Plätzen, so auch hier bei der Kitzkammer. Denn in der dunklen Basalthöhle hat es sich wohl um eine heilige Stätte der Unterwelt gehandelt, worauf das schwarze Gestein, die Nähe zu der Schlucht und ihre westliche Lage hinweisen. Eine Sage berichtet auch, dass darin geisterhafte Stimmen zu hören gewesen seien. Nun können Katzen nachts durchaus eine geisterhafte Musik machen, doch würden diese geisterhaften Stimmen auch zu den Wesen der Unterwelt passen, die vielleicht in dieser Höhle wohnend gesehen wurden.

Eine andere Sage berichtet, dass einem Hirtenknaben dort eine hohe Weiße Frau erschien, die einen mächtigen, goldenen Schlüsselbund trug, den sie ihm hinhielt. - Diese Schlüssel sind außerordentlich bedeutungsvoll, denn Frau Holles Schlüsselbund kennzeichnet sie nicht als die Verwalterin eines Haushalts, sondern als die Beschließerin der Zonen der Welt. Es gibt viele solche Weiße Frauen, sie weisen mit ihren magischen Schlüsseln oft den Weg zu Schätzen in der Tiefe - auch ein Unterweltaspekt -, aber Frau Holle tut noch mehr: Sie schließt im Frühling das Wolkentor auf, damit die Sonne erscheinen kann, und im Herbst schließt sie es wieder zu. Damit ist sie Herrin des Himmels. Ebenso schließt sie mit ihren goldenen Schlüsseln das unterirdische Paradies in ihrem Berg auf, den Garten Immergrün. Das kennzeichnet sie auch als Herrin der Unterwelt."

Heide Göttner-Abendroth, Matriarchale Landschaftsmythologie, S. 68 und 69


























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