Die Kitzkammer
Am Südwesthang des Meißners gelegen, ist die
Kitzkammer eine von
Basaltsäulen eingefasste Höhle, die jedoch heute
nicht mehr
zugänglich ist. Sie liegt am oberen Ende einer wilden Schlucht
unweit eines kleinen Höhenbaches. Viele Holle-Mythen ranken
sich
um sie.
"Die Kitzkammer
liegt hart am Rand einer Schlucht, durch die
Bäche herabrauschen Das Außerordentliche dieses
Platzes ist das offen zu Tage tretende, schwarze Basaltgestein, das
hier schöne, regelmäßige Säulen
bildet, die aber nicht senkrecht steigen, wie man annehmen
möchte, sondern
waagerecht liegen und vor den Betrachtenden in einer
glatten Wand enden.
Darin öffnet sich die Kitzkammer als
merkwürdige Höhle. Sie war früher
größer als heute, denn Basaltsäulen sind im
Inneren herabgestürzt.
Kitzkammer
Foto: Gundula Lendt
Dieser ungewöhnliche Platz
zieht nicht nur
viele heutige Menschen an, sondern hat auch die Phantasie der
frühen Menschen beschäftigt, die hierher kamen.
Jedenfalls sollen hier Frau Holles Katzen wohnen. Denn Kitzen
sind
weibliche Katzen, die heiligen Tiere der Göttin, die
häufig in ihren Mythen auftreten. Menschen, die gut zu den
Katzen sind, gewinnen die Gunst der Göttin.
Die
Raubtiere Löwen, Leoparden und Katzen sind klassische
Begleiter der matriarchalen Göttin, sie kommen
überall von Westasien über Ägypten bis
Europa als ihre Begleiter vor. Zum Beispiel sitzt die
gebärende Göttin der jungsteinzeitlichen Stadt Chatal
Höyük in Kleinasien
(7000 v. u. Z.) auf einem Leopardenthron, ebenso sieht man die
spätere Göttin Kybele auf einem Löwenthron,
und Löwen ziehen auch Kybeles Wagen. Die hethitische
Göttin Hebatu steht auf einem schreitenden Löwen, der
das Wahrzeichen ihrer Macht ist. In Ägypten erscheinen die
Göttinnen Sachmet mit einem Löwenkopf und Bastet mit
einem Katzenkopf. In Südeuropa sieht man die
kretisch-griechische Göttin Hera auf Siegeln und auf
Säulen von Löwinnen flankiert, und in Nordeuropa
fährt die später germanisierte Freyja
auf einem Wagen, den Wildkatzen ziehen. Diese Tiere
symbolisieren nicht nur die ungebändigte Kraft der
Göttin selbst, sondern zeigen sie zugleich in der archaischen
Eigenschaft als Herrin
der Tiere. Auch Frau Holle war eine Herrin der Tiere, denn
sie schützte die Tiere auf dem Weißner, insbesondere
ihre magischen Katzen. Diese sind Nachttiere und Wächter an
heiligen Plätzen, so auch hier bei der Kitzkammer. Denn in der
dunklen Basalthöhle hat es sich wohl um eine heilige
Stätte der Unterwelt gehandelt, worauf das schwarze Gestein,
die Nähe zu der Schlucht und ihre westliche Lage hinweisen.
Eine Sage berichtet auch, dass darin geisterhafte Stimmen
zu hören gewesen seien. Nun können
Katzen nachts durchaus eine
geisterhafte Musik machen, doch würden
diese geisterhaften Stimmen
auch zu den Wesen der Unterwelt passen, die vielleicht in dieser
Höhle wohnend gesehen wurden.
Eine andere
Sage berichtet, dass einem Hirtenknaben dort eine hohe
Weiße Frau erschien, die einen mächtigen, goldenen
Schlüsselbund trug, den sie ihm hinhielt. - Diese
Schlüssel sind außerordentlich
bedeutungsvoll, denn Frau Holles
Schlüsselbund kennzeichnet sie nicht als die Verwalterin eines
Haushalts, sondern als die Beschließerin der Zonen der Welt.
Es gibt viele solche Weiße Frauen, sie weisen mit ihren
magischen Schlüsseln oft den Weg zu Schätzen in der
Tiefe - auch ein Unterweltaspekt -, aber Frau Holle tut noch mehr: Sie
schließt im Frühling das Wolkentor auf, damit die
Sonne erscheinen kann, und im Herbst schließt sie es wieder
zu. Damit ist sie Herrin des Himmels. Ebenso schließt sie mit
ihren goldenen Schlüsseln das unterirdische Paradies in ihrem
Berg auf, den Garten
Immergrün. Das kennzeichnet sie auch als Herrin
der Unterwelt."
Heide
Göttner-Abendroth, Matriarchale
Landschaftsmythologie, S.
68 und 69
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